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So war das Appletree Garden Festival 2025

Gastbeitrag von Lewis Wellbrock, ebenfalls erschienen im Magazin von festival-community.net.

Im Jahr 2010 besuchte ich das erste Mal das appletree garden. Im gemeinsamen Urlaub mit Freund*innen fiel die Entscheidung spontan, so spontan, dass die Hardcover-Tickets in einer Buchhandlung in Diepholz gekauft werden mussten. Um ganz sicherzugehen, dass wir noch an Karten kommen, schickte ich meine in Diepholz wohnende Großmutter los, die dem etwas verdutzten Verkäufer ein paar der letzten Eintrittskarten abkaufte – für 26 Euro. Damals war das Festival noch etwas kleiner und Highlights wie ein Akustik-Set von We Were Promised Jetpacks vor dem Visions-Stand haben einen festen Platz in meinem Herzen erobert. 15 Jahre später hat sich einiges verändert: Mehr Bands, mehr Bühnen, der Visions-Stand ist verschwunden und erstmals besuche ich das Festival ohne dass meine Oma am Leben ist. Automatisch stellt sich die Frage, ob die Liebe zum appletree garden eher aus Bequemlichkeit, Gewohnheit sowie freundschaftlicher und familiärer Beziehung zustande kam, oder die Macher*innen und ich musikalisch einfach seit Ewigkeiten auf einer Wellenlänge sind.

Genauso schnell wie sich diese natürlichen Zweifel einschlichen, verschwanden sie auch wieder, als am Donnerstag das Gelände betreten wurde. Und das waren gar nicht die ersten Zweifel: In den letzten Jahren kam es hin und wieder vor, dass man fragend durch das Line Up des Festivals ging und überlegt, ob es einem nicht zu wenig Highlights böte, ob das noch dem eigenen Musikgeschmack entspräche und ob man nicht vielleicht irgendwann auch mal zu alt für das Ganze sei. Vor Ort sieht es dann jedoch vollkommen anders aus, wenn man die ersten Freund*innen in die Arme schließt, ein hoffentlich kaltes Getränk öffnet und die kommenden Tage auf sich zukommen lässt.

Denn erfahrungsgemäß erfasst man die Tiefe und Vielfalt des Bookings erst, wenn man durchs Programmheft blättert, sich von Freund*innen mitreißen lässt oder sogar durch Zufall vor einer Bühne landet. Selbstverständlich hat man immer seine Highlights, die Vorfreude aufkommen lassen – wie es beispielsweise Mel D tat. Nach ihrem Auftritt beim diesjährigen Immergut-Festival wussten wir zwar schon, was da auf uns zukommt, gerade deshalb war die Schweizerin eines unserer Highlights. So eröffnete sie am Freitag die Große Bühne und unterstrich ihre fantastischen Livequalitäten: Eingängige Melodien, sympathisches Auftreten, eine großártige Stimme. Die perfekten Voraussetzungen, um nach einem entspannten Start im Freibad und auf der Minigolfanlage im Ortskern, in den Abend zu tanzen.

Trotzdem ist das appletree garden doch am schönsten, wenn man die Acts gerade erst für sich entdeckt. So begeisterte die deutsche Singer-Songwriterin Catt, die zusammen mit ihren Bandmitgliedern beinahe gecastet wirkten, so aus dem Ei gepellt schienen sie, das Publikum mit vielseitigen und eingängigen Popsongs. Dass sie nicht gecastet, sondern schlicht talentiert ist, bewies sie, als sie kurzzeitig vom E-Piano an die Posaune wechselte. Ohne Qualitätsverlust, versteht sich. Ebenfalls besonders vielschichtig zeigte sich Indie-Heldin Kate Nash, die bei nicht wenigen Stammgästen des Festivals Erinnerungen an die Teeniezeit hervorrief. Sie jedoch nur auf Hits wie “Foundations” zu reduzieren wäre ihrer Musik nicht gerecht, die eine tolle Mischung aus poppigem Indie und britischem Sprechgesang darstellte.

Am Ende sind die größten Überraschungen aber vielleicht gar keine Einzelkonzerte, sondern Erkenntnisse. Und dass ich auf einmal meine frankophile Seite entdecke, stand jedenfalls nicht auf meinem Bingo-Zettel für 2025. Ob das nun an frühkindlicher Prägung durch Frankreich-Urlaube und die Georges Moustaki Platten meiner Eltern lag, lässt sich nicht mehr klären – dennoch eroberten die französischsprachigen Acts Colt und Zaho de Sagazan mein Herz im Sturm. Dass es dabei für Colt tatsächlich das erste Konzert in Deutschland war, ließen sich die Belgier*innen nicht anmerken. Im besten Sinne routiniert brachten sie das Publikum mit ihren Elektropop-Songs zum Tanzen und zeigten selbst, wie viel Spaß ihnen der Auftritt auf der Waldbühne machte. Freund*innen von eingängigen, synthlastigen Klängen sollten die Band auf jeden Fall auf dem Zettel haben. Das absolute Festival-Highlight war jedoch Zaho de Sagazan. Die französische Popsängerin überzeugte mit einer Mischung aus treibenden Elektrosongs und klassischen Chansons auf jeder Ebene. Und so durfte ich an einem verregneten Samstag zwischen Osnabrück und Bremen eines der besten Konzerte meines Lebens erleben. Gänsehaut von Anfang bis Ende, im einen Moment tanzend, im anderen zu Tränen gerührt. Dass der Auftritt dabei soundtechnisch nahezu perfekt war, tat sein Übriges. Wer die Chance hat, sie auf ihrer nächsten Tour, u. a. in der Elbphilharmonie, zu sehen, sollte das unbedingt tun, bevor sie die allergrößten Bühnen dieses Landes bespielt.

Nach drei Tagen voller Musik, Freund*innen, Schwimmen und Minigolf lässt sich also schlussfolgern: Die Liebe zum appletree garden entstand vielleicht aus Nähe und Bequemlichkeit, ist aber seit langem schon viel mehr. Ob es nun die etlichen musikalischen Überraschungen, die Gastfreundschaft im Ort, das angenehme Publikum oder die vielen gewonnenen Freund*innen sind, dieses kleine Festival hat sich auch für die kommenden Jahre einen festen Platz in meinem Herzen und in meinem Terminkalender gesichert. Auf die nächsten 15 Jahre!

 

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