Das Reeperbahn Festival 2025 hat wieder einmal bewiesen, wie viel musikalische Vielfalt man in Hamburgs Clubs, Kirchen, Bars und Hallen stecken kann. Zwischen überraschenden Neuentdeckungen und großen Namen war für jede Stimmung etwas dabei. Dabei sind es wie immer nicht nur die bekannten Acts, die das Festival prägen – oft sind es die unerwarteten Begegnungen, die am meisten hängenbleiben. Hier meine zwölf Highlights des langen Wochenendes:
1. Man/Woman/Chainsaw (Molotow)
Beginnen wir doch gleich mal mit dem stärksten Konzert des Wochenendes: Nachdem es einen reichlich verregneten Nachmittag über die Runden zu bringen gilt, finde ich mich im Molotow wieder, wo meine regennasse Stimmung sofort in einen Schub von Energie und Vorfreude verwandelt wird. Dieses Londoner Kollektiv hat mich sofort von 0 auf 100 gebracht. Eigenen Angaben zufolge mäandert das Sextett immer zwischen den Polen zarte Melodien und brachialer Lärm – ein Wechselspiel, das live ganz besonders mitreißt. Die Songs schlagen Haken, fordern die Hörgewohnheiten heraus und vereinnahmen im nächsten Moment komplett mit berauschenden Arrangements.
2. Bye Parula (UWE)
Bye Parula spielen die Art von Musik, die mittlerweile immer seltener den Weg in meine Gehörgänge findet: Gitarre, Schlagzeug, Bass – mehr braucht es manchmal einfach nicht, um wunderschöne Melodien zu komponieren, die Einflüsse von Film-Soundtracks der 1960er und 1970er Jahre mit moderner Indie-Ästhetik verbindet. Live entfaltet die Band ihre Stärken besonders: durch spürbare Präsenz, leidenschaftliche Gesangseinlagen und verzaubernde Harmonien wirkt ihre Musik noch eine Spur eindringlicher als bereits auf Platte.
3. Carpetman (Mojo)
Carpetman ist eine mysteriöse Kunstfigur mit Teppichmaske, die wenig Informationen über sich selbst Preis gibt und anstelledessen ihre Musik für sich sprechen lässt. So begeben wir uns hier im Schein der Clublichter des wunderbaren Mojo-Clubs auf eine sphärische Reise zwischen dunklem Blues, pulsierendem House und getragenem Elektro. Jeder Song wird zu einem Moment tranceartiger Intensität, in dem verletzliche Gesangsparts auf atmosphärische Drops treffen.
4. Dramatist (Häkken)
Noch einen Zacken druckvoller geht es bei diesem Powerquintett aus Bremen zu: Nachdem ich Dramatist schon bei ihrem ersten Livegig überhaupt (!) auf der Breminale genießen durfte, freute ich mich schon auf eine erneute Watsche. Und erneut überzeugte die Band mit ihrem kompromisslosen Post Hardcore, der mit roher Kraft und präziser Intensität packt. Zwischen brachialen Ausbrüchen und kurzen Verschnaufpausen mit cleanem Gesang entsteht eine knisternde Spannung, die das Publikum im Häkken wie elektrisiert zurücklässt. Bin sehr gespannt auf das Debüt-Album, das 2026 erscheinen wird.
5. Quicche (Sommersalon)
Den sympathischen Ostfriesen konnte ich in diesem Jahr bereits auf dem ersten Festival der Saison, dem überaus sympathischen Immergut Festival, auf der dortigen Birkenhain-Stage bewundern. Im Club büßt der fein-flickerig zusammengesponnene elektronische Sound nichts von seiner Anmut ein: intim, suchend, manchmal schroff, doch immer getragen von einer stillen Größe, die noch lange nach dem letzten Ton im Raum nachhallt.
6. Léonie Pernet (Nochtspeicher)
Ursprünglich aufgrund der Empfehlung eines Freundes mit in den Nochtspeicher gekommen, mausert sich dieser Gig im Verlaufe seiner Länge zu einem weiteren Highlight des Festivals. Die von französischem Chanson, Neo-Klassik und afrikanischen Rhythmen beeinflussten Pop-Songs wurden von Minute zu Minute versierter, tanzbarer – und als sich dann auch noch Mine auf die Bühne gesellte, um mit Léonie gemeinsam den Song SCHATTIG zu performen, gab es sowieso kein Halten mehr.
7. Stella & The Longos (Resonanzraum)
Der vierte Tag ist immer ein bisschen schwierig auf dem Reeperbahn Festival. Nach vielen Eindrücken und wenig Schlaf kommt man am Anfang des Tages nur schwer auf Betriebstemperatur. Stella & the Longos erwiesen sich in diesem Falle als hervorragende Wachschüttler: Die Mischung Zouk, Funk und Boogie dieses extrem charismatischen Kollektivs ließ vor der Bühne des Resonanzraums niemanden kalt.
8. Valentino Vivace (25 Club)
Wo wir gerade bei guter Laune sind: Der tanzbare 1980er-Jahre-Italo-Discosound des Schweizers Valentino Vivace, bereits im August auf dem Appletree Garden Festival abgefeiert, ist so infektiös, dass wir uns seinen Gig mit Vergnügen ein zweites Mal dick und fett im Timetable angestrichen haben. Im Club noch eine Spur energetischer als Open Air!
9. The Haunted Youth (Uebel & Gefährlich)
Das Uebel & Gefährlich liegt ein Stück abseits der Reeperbahn – und bei einem so eng getakteten Timetable überlegt man sich zweimal, ob sich der Weg dorthin lohnt. Für The Haunted Youth war die Antwort eindeutig: ja. Die Band um den Sänger Joachim Liebens überzeugte mit schweren Nebelschwaden, betörenden Soundscapes, weiten Melodiebögen und einer Gesangsstimme, die das Publikum in seine ganz eigene Traumwelt entführte. Kein Wunder, dass sie in ihrem Heimatland Belgien längst als eine der größten Indie-Sensationen der letzten Jahre gefeiert werden.
10. GARDENS (Angies)
Abseits des Mainstreams hat sich die Wiener Indie-Rock-Band GARDENS mit ihrem Debüt Flaws einen Namen gemacht. Ihre Songs wirken wie persönliche Briefe, die von Selbstzweifeln, innerer Unruhe und dem Drang nach Freiheit erzählen. Auf der Bühne verdichtet sich dieses Gefühl: unprätentiös, klar und mit einer Ausdruckskraft, die gar nicht laut sein muss, um dauerhaft im Kopf zu bleiben.
Kraftklub Tour (St. Pauli Kirche / Grüner Jäger / Uebel & Gefährlich / Knust / Heiligengeistfeld / Mojo Jazz Cafe / Pooca Bar / Kaiserkeller / FC St. Pauli Fanshop / HASPA St. Pauli / Bahnhof Pauli / Prinzenbar / DOCKS / Molotow / Gruenspan)
Diese Aktion möchte ich nicht unerwähnt lassen: Im Rahmen der Promotion ihres kommenden Albums haben sich die Chemnitzer Jungs vom Kraftklub eine Kiez-Tour zusammengebastelt, bei der sie innerhalb eines Tages 15 Locations bespielen. Geworben wurde ganz guerilla-artig mit Plakaten, die in der Nähe der Locations noch am selben Tag aufgehangen wurden. Mit dabei war immer ein Kameramensch, der die Band begleitete. Und wer gerade elf Stunden Zeit hat: Hier gibt es das gesamte Videomaterial vom Tag zu sehen.
Alles in allem also eine komplett wahnsinnige Idee, aber sie ging auf! Wir haben die letzten beiden Konzerte im Molotow und Gruenspan mitbekommen und es war ganz so, wie man es von Kraftklub gewohnt ist. Leidenschaftlich, druckvoll und – man mag es kaum glauben – auch beim letzten Gig noch voller Energie.
Fuffifuffzich in der Elbfeelharmonie und Anna Ternheim im Michel
Selten schenke ich den „besonderen“ Locations beim Reeperbahn Festival Beachtung – zu dicht gedrängt ist das Programm meist mit Acts, die in den Clubs verteilt spielen. Doch seit auch Orte wie die Elbphilharmonie oder der Michel bespielt werden, lohnt sich ein Blick über den Tellerrand. Wann hat man schon sonst die Chance, diese beeindruckenden Stätten von innen zu erleben? Und wenn dann noch ein großartiges Programm wartet…umso besser.
Dieses Mal hat es gleich an beiden Orten geklappt: In der Elbphilharmonie präsentierte Fuffifuffzich die Hits ihrer ersten beiden Alben und holte am Ende alle auf die Bühne, die mitfeiern wollten. Im ehrwürdigen Michel sorgte Anna Ternheim indes für stille, akustische Gänsehautmomente, während zwischen den Songs immer wieder frenetischer Applaus den Raum erfüllte.
Ehrlich gesagt standen in diesem Jahr gar nicht so viele Acts von vornherein auf meiner Liste. Umso überraschender war, wie viele Entdeckungen das Reeperbahn Festival auch in diesem Jahr wieder für mich bereithielt. Zwischen den bekannten Namen verbargen sich Künstler, deren Auftritte lange nachhallten, und Momente, die ich nicht geplant hatte, aber umso mehr genossen habe. So hinterlässt das Festival einmal mehr eine fantastische Auswahl an Konzerten, und unvergessliche Eindrücke, die jetzt schon wieder Lust auf die nächste Edition machen.
Hier gibt’s noch eine kleine, feine Auswahl an weiteren Bildern: