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9 (+1) Entdeckungen auf dem Eurosonic Festival 2023

Wenn nicht gerade Pandemie herrscht, verwandelt sich das niederländische Städtchen Groningen immer in Januar zu einem Wallfahrtsort für aufstrebende europäische Bands. Dementsprechend fieberten wir nach zwei reichlich chaotischen Online-Editionen der ersten ‘richtigen’ Ausgabe vom Eurosonic Festival schon Monate im Voraus entgegen. Dutzende Schauplätze wie Bars, Clubs, Theater, Cafes und Kirchen boten auch 2023 wieder reichlich Platz für das Next Big Thing, und bei den hunderten gebuchten Acts fiel es nicht immer leicht, den Überblick zu behalten. Deshalb möchte ich an dieser Stelle einige meiner persönlichen Entdeckungen auflisten.

Groningen im Januar.

O.

Es fühlt sich ein wenig so an, als ob die Band eine Wette verloren hätte und sich jetzt selbst mit dem am schwierigsten zu googlenden Namen der Welt kasteit. Könnte einem egal sein, wenn diese beiden Briten nicht so unverschämt groovige Musik aufs Parkett legen würden. Nur mit Saxofon und Schlagzeug bewaffnet, errichten Tash Keary and Joe Henwood in unwiderstehlich gutem Zusammenspiel eine Wall of Sound, die gleichzeitig komplex und tanzbar ist. Muss man auch erstmal schaffen, so viele Leute mit gerade mal einem einzigen veröffentlichten Song vor die Bühne zu locken.

Für Fans von: The Comet is Coming, Melt Yourself Down 

Heartworms

Genau wie bei den eben erwähnten O. gab es auch von Heartworms im Voraus nur ein einziges Lied zu hören. Und trotzdem bilden sich – NME-Hype sei Dank – während des Konzerts lange Schlangen vor dem Club. Eigentlich kein Normalzustand auf dem Eurosonic Festival. Das Anstehen hat sich gelohnt, schnürt die perfekt zusammenspielende Band ein intensives, düster-unterkühlt Goth/Postpunk-Paket mit enormem Gespür für Stil und Ästhetik. Mittlerweile ist auch eine EP für Februar angekündigt. Da kommt noch Großes auf uns zu!

Für Fans von: Molchat Doma, Joy Division

Pieter de Graaf

Nach zwei eher aufwühlenden Acts kommen wir mal zurück zum Wesentlichen: Alles, was Pieter de Graaf benötigt, ist ein Klavier. Okay, zusätzlich gibt es allerlei elektronische Spielereien auf der Bühne und auch Loop- und Samplegeräte dürfen nicht fehlen. Aber ihn schon beim Bearbeiten der Tasten zuzusehen, ist eine Attraktion für sich. Mischt man noch die psychedelischen Visuals in einer der beeindruckendsten Locations der Stadt hinzu, wird schnell klar, dass dies ein ganz besonderer Auftritt ist, der weit über das hinaus geht, was gemeinhin als “Neoklassik” bezeichnet wird.

Für Fans von: Niklas Paschburg, Floating Points

Kety Fusco

Bleiben wir doch mal bei elektronisch verstärkten klassischen Instrumenten. Als Meisterin an der Elektroharfe bearbeitet Kety Fusco gleich zwei davon gleichzeitig und entlockt ihnen spannende, experimentelle Klangwelten, die gewohnte Songstrukturen sprengen und von teils reichlich verstörenden Visuals begleitet werden. Nicht ganz einfach zu verdauen an einem durchschnittlichen Festivaltag, aber dennoch enorm eindrucks- und wirkungsvoll.

Für Fans von: Godspeed You! Black Emperor, A Silver Mt. Zion

Zouj

Sehr schade, dass Band um Adam Abdelkader Lenox-Belhaj, ehemaliges Mitglied der Mathrock/Hardcore Band Lingua Nada vor recht wenig Publikum spielt – denn mit solch einer Energie könnte dieses Kollektiv locker eine ganze Halle in Bewegung versetzen. Wie das klingt? Schwierig zu sagen. Die musikalische Vergangenheit des marokkanisch-französisch-amerikanischen Sängers lässt jedenfalls keine Rückschlüsse auf sein gegenwärtiges Projekt zu. Zouj ist experimentierfreudig, tanzbar, scheut sich nicht vor Rapeinlagen und platzt vor Energie im Spektrum von Soul bis Noise. Muss man sehen!

Für Fans von: Mike Patton, Glass Animals

Bon Entendeur

Diese beiden hochsympathischen Franzosen standen ganz oben auf meiner Must-See-Liste, denn der der leichtfüßige Elektropop von ihrem 2021er Album Minuit hat sich sofort in mein Herz gespielt und machte mir den Alltag in der Pandemie um einiges erträglicher. Fast zwei Jahre später bekomme ich sie nun zu Gesicht – zwar lediglich als DJ Set, doch dafür macht dieses Set so unverschämt viel Spaß, dass die Mundwinkel vor lauter Gegrinse am Ende ganz weh taten. So geht es nicht nur uns: Mit enormer Geschmackssicherheit ziehen die beiden einen Disco-Hit nach dem andern aus dem Hut und sorgen so für das ausgelassenste Set auf dem Festival.

Für Fans von: Polo & Pan, L’Imperatrice

The Bug Club

Ah, es gibt ihn noch: den guten alten Gitarrensound. Nicht, dass ich ihn aktiv vermisst hätte – aber Bug Club zeigen, dass man 2023 noch sonnigen Schrammelrock spielen kann, ohne dabei wie ein Abziehbild von Genrekollegen der letzten Jahrzehnte zu wirken. Das Waliser Trio bezeichnet sich selbst als eng zusammengewobenes Gemeinschaftsprojekt, das Geschichten aus dem Alltag erzählt, gespickt mit Humor und jeder Menge Riffs. Live wird das überdeutlich – es ist immer wieder schön zu sehen, wenn Bandmitglieder so gut auf der Bühne harmonieren wie hier. Dieser Auftritt wird definitiv nicht mein letzter gewesen sein.

Für Fans von: Sports Team, Pip Blom

Kóboykex

Ich habe lange überlegt, ob ich diese Band hier aufzählen soll, weil die Inszenierung hier schon fast wichtiger als die musikalische Darbietung scheint. Ich meine: Es sind zwei Cowboys von den Färöer Inseln, die Lo/Fi Psychedelic Folk spielen! Hillbilly-Musik, die mitten im Nirgendwo zwischen Island und UK entstanden ist. Muss man mögen – mindestens für den Fakt, dass sie diese Show knallhart durchziehen. Ob das alles nun ernst oder ironisch gemeint ist? Weiß man einfach nicht. Das Debütalbum werde ich mir aber schon aus Neugierde trotzdem anhören.

Für Fans von: Mac de Marco, Ennio Morricone 

Schmyt

Zugegeben: Wenn man sich mit deutscher Musik auseinandersetzt, ist dieser Act gewiss keine richtige Neuentdeckung, spielte der ehemalige Sänger von Die Rakede schon das eine oder andere Festival hierzulande und wurde beispielsweise mit gleich zwei Auftritten auf dem Reeperbahn Festival 2021 gesegnet. Im Groninger Stadttheater ist seine herzzerreißende Show, geprägt von einer ordentlichen Portion, nun ja, Theatralik, ideal aufgehoben und sorgt sicherlich noch mal für einen ordentlichen Popularitätsschub.

Für Fans von: Edwin Rosen, Casper 

Son Mieux

Gewissermaßen außer Konkurrenz befindet sich diese Band, weil ich sie nur von außerhalb der Location genießen durfte. Das Eurosonic-Air-Zelt ist aus allen Nähten geplatzt, als das niederländische Quartett seinen Disco-Pop auf die tanzwütige Meute losließ. Man konnte die Stimmung nur erahnen…bleibt zu hoffen, dass einige Booker die Show von innen mitverfolgt haben und man sie ganz bald in den Line Ups hiesiger Festivals wiederfindet.

Weil’s so schön war: Hier noch ein paar weitere Fotos vom ESNS 2023.

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