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Roskilde Festival 2023: Hinein ins Orange Feeling

Samstag – Tag 4

Drei Tage Roskilde Festival zollen ihren Tribut und ich weiß gar nicht so recht, wie ich den vierten gestalten soll. Erst einmal Treiben lassen ist die Devise. Um 12 Uhr Mittags lotsen mich abenteuerliche Klänge zur EOS Stage: Fulu Mitsiki, wörtlich übersetzt “Musik aus Müll”, beschallen das Publikum mit perkussiver Klöppelei auf fantasievoll zusammengebastelten Instrumenten. Die pure Lebensfreude auf der Bühne bringt die verklebten Gehirnzellen auf Trab und katapultiert mich direkt zurück in den Festivalmodus. Schön auch, dass das Festival selbst zeitigen Slots wie diesen üppige Spielzeiten von einer Stunde gewährt.

Fulu Mitsiki live.

Weiter geht es vorbei an den noch spärlich besuchten Essens- und Cocktailständen (Zwei-Liter-Kelch Mojito für knapp 70 Euro ist auch ‘ne Ansage!) zur Gloria-Bühne, wo ich bisher nur Bands der härteren Gangart gesehen habe. Jetzt spielt hier Lucrecia Dalt samt sympathisch-aufgekratzem Jazzpercussion-Freund. Der sphärisch-psychedelische Sound schiebt im Dunklen der Location richtig gut voran. Sehr schade, dass die beiden mit üblen Soundproblemen zu kämpfen haben und somit auch keine Zugabe drin ist. Ein Solokonzert steht jetzt aber definitiv auf meiner To-Do-Liste.

Ganz beseelt schlendere ich weiter zu Caroline Polachek, die ich live bereits in Hamburg bewundern durfte. Auch hier serviert sie wieder absolut souveränen Avant-Pop, den sie mit viel Selbstbewusstsein über die prächtig illuminierte Bühne bringt. Fast schon frech, ihr einen Nachmittags-Slot zu geben – erneut herrscht schon weit vor Konzertbeginn ein riesiger Andrang vor der Stage. Kein Wunder, denn Caroline macht live wie auf Platte süchtig! Für Popmusik zudem erfrischend: die Liveband auf der Bühne. Diese hält sich allerdings dezent im Hintergrund und gibt Caroline genug Raum, um während ihres furiosen Auftritts quer über die Bühne zu stolzieren.

Und dann lässt er sich wieder blicken, der Regen. Ich wandele über das Gelände, das sich heute deutlich leerer anfühlt als an den Vortagen und sorge mich fast schon etwas, dass bei Charlotte Adigéry und Bolis Pupul nichts los sein wird. Tatsächlich ist kurz vor Konzertbeginn der Raum vor der EOS Stage mehr als luftig gefüllt. Das ändert sich aber schnell, als Bolis’ stampfende Beats und Charlottes dadaistische Lyrics die Tanzmäuschen vor die Bühne lockt. Auch für meine müden Knochen ist dieser unfassbar spaßige und tanzbare Auftritt des belgischen Duos purer Treibstoff. Bleibt nur zu hoffen, dass bald mal eine Tour ansteht, die nicht nur Berlin beinhaltet.

Aufgeheizt von dem Erlebnis schlängele ich mich durch das Areal vor der Orange Stage, um einen guten Platz für die letzte Headlinerin Lizzo abzugreifen. Sie ist bestens aufgelegt, bastelt Hit an Hit und nimmt sich im Laufe ihres Auftritts noch Zeit, um auf Tuchfühlung mit dem Publikum zu gehen, das bis in die hintersten Reihen angezündet ist. Wunderbar platzierter letzter Act, der auch den letzten zerknautschten Seelen an diesem Abend den Grauwetterkummer ausgewrungen haben sollte.

Das bewusst unterkühlt gehaltene und dystopische Darksynth-Gedresche von Perturbator im Anschluss ballert zwar ordentlich nach vorne – mehr aber auch nicht. Nach den letzten, emotional sehr bewegenden Acts wirkt dieser Auftritt reichlich seelenlos auf mich. Ist aber auch sicher ein bisschen die Intention des Acts. Den Leuten um mich herum gefällt’s aber, sodass ich mich, angesteckt vom Vibe, ebenfalls noch bis in die Nacht hinein stampfend vor der Bühne wiederfinde. Ich erlebe sogar noch den 2-Uhr-Slot von Two Shell mit, dem geheimnisvoll-vermummten britischen Duo, dessen hochexplosive Mischung aus Techno, Jungle und Hyperpop noch mal allen Anwesenden den Hintern versohlt. Unter 130 bpm geht hier nix. Starker Abschluss eines mehr als abwechslungsreichen Festivals!

Perturbator live.

Wow. Das war es also, das Roskilde Festival 2023. Dafür, dass ich heute eigentlich kaum etwas auf dem Zettel hatte, habe ich erstaunlich viele Acts gesehen. Und, wie die anderen Tage auch, war auch dieser Tag gespickt von alten Bekannten, ins Herz geschlossenen Heldinnen, famosen Überraschungen und großer, großer Euphorie. Umso schöner, wenn man am Tag darauf liest, dass das Festival – Non-Profit seit über 50 Jahren – in diesem Jahr rund 14 Millionen Kronen (knapp 2 Millionen Euro) eingenommen hat, die für wohltätige Zwecke gespendet werden. Schön, wenn man nach vier Tagen Feierei ins Bett fällt, mit dem Gedanken, damit sogar etwas Gutes getan zu haben.

Anmerkung: Der Bericht ist ebenfalls im Magazin von festival-community.net erschienen. Dort gibt es noch weitere Fotos zu sehen.

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