Zum Inhalt springen

Skandaløs Festival 2019 – Stadt und Land im Fluss

Seit der ersten Ausgabe des Festivals im Jahr 2011, damals noch mit einer Bühne, ein paar Bierpilzen und einem eher sporadischen Zelt für bildlich-darstellende Kunst, hat sich das Skandaløs Festival 2019 zu einer vielfältigen Festivalutopie gemausert. Möglich wird dieses durch den Einsatz zahlreicher, zumeist ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer, die sich unter dem Dach des gemeinnützigen Kulturflut e. V. die meiste Zeit des Jahres mit der Planung und dem Auf- und Abbau des Geländes beschäftigen.

Das Gelände: Komplex und doch kompakt

Der nahezu vollständig unkommerzielle Charakter vom Skandaløs Festival macht sich in vielen liebevollen Details bemerkbar. Seien es die kreativen wie praktischen Installationen an allen Ecken des Geländes, die gemütliche Strandbar, die diversen Räume für Kultur oder auch die zahlreichen Einrichtungen zur Entspannung und sportlichen Betätigung, wo man je nach belieben entweder Super Nintendo spielen, über Dosentelefone telefonieren oder den Blick über das idyllische Marschland schwelgen lassen kann.

Es verdient größten Respekt, was die Beteiligten hier über Monate hinweg auf die Beine stellen. Denn wo sich der naturgeprägte Kulturraum so hautnah erleben lässt, dort fehlt es leider oftmals an grundlegendem. Selbst Fragen der Strom- und Wasserversorgung haben dadurch eine andere ganz Relevanz als bei vergleichbaren Veranstaltungen in urbanen Speckgürteln.

Doch abgesehen von kleineren, vom Festival selbstironisch und durchaus sympathisch belassenen Fehlern wie beim Schriftzug „Skandlaøs“ über dem Eingangstor, lässt sich das Festival seine komplizierten Umstände nirgends anmerken. Alles wirkte bestens organisiert, von den Rettungsschwimmern am Badesee, den entspannten Ordnern, dem mit Küchenkräutern ausgestatteten Grillplatz über die Essensstände bis hin zur An- und Abreise.

Der richtige Riecher

Denselben Respekt hat sich das Booking verdient, das in Anbetracht eines fehlenden Promoters umso kreativer sein muss. Den Erfolg beweisen die zahlreichen Gastspiele von heute national und teils auch international gefeierten Künstlerinnen und Künstlern. Ob nun Milky Chance, Faber, Von Wegen Lisbeth, Alice Phoebe Lou, Ilgen-Nur, Fil Bo Riva, den Giant Rooks oder Tash Sultana. Sie alle waren schon zu Gast am Hülltofter Tief. Prominentester Gast war jedoch ohne Frage Ben Howard, der 2011 an dieser Stelle seinen ersten Festivalauftritt überhaupt in Deutschland spielte. Diese illustre Reihe zeugt von einem Booking, das stets am Puls der Zeit ist – und diesem oft zuvorkommt!

Auch in diesem Jahr offenbarte sich das Booking als äußerst treffsicher, und es wird spannend zu sehen, welche der Künstlerinnen und Künstler einen ähnlichen Weg gehen werden. Dabei stellt sich die Frage weniger für die Headliner, die gewiss kein Geheimtipp mehr sind. Die Kieler Jungs der Leoniden gehören nämlich schon etwas länger zu den aufstrebenden nationalen Bands, was sie auch im hohen Norden gleich am ersten Abend noch einmal unterstrichen.

Einen stilistischen Kontrast zum modernen Indierock präsentierte am Folgeabend das Moka Efti Orchestra mit Severija, das seine aus der TV-Serie Babylon Berlin bekannten und mittlerweile weithin gefeierten Songs zum Besten gab. Neben den Headlinern erfreuten wir uns am erneuten Gastspiel der Berliner Postrocker von Hope, den Szenelieblingen von International Music oder dem tarantino-esken Wüstenrock von Cari Cari.

Freunde und Freundinnen der elektronischen Musik kamen indes mit einem Gastspiel des argentinischen Multi-Instrumentalisten Uji oder dem 80er-Jahre angehauchten Elektro von Brigade auf ihre Kosten, während Sea Moya und die Wilde Jagd zu später Stunde komplexe Soundteppiche in bester Krautrock-Manier webten. Ein breit aufgestelltes Line Up also, dass sich in allen Genre-Ecken bedient und extrem viel zu entdecken bietet.

Mehr als nur Musik

Man würde dem Festival und der Kreativität der Beteiligten jedoch Unrecht tun, käme man nur auf das musikalische Programm zu sprechen. Leicht kann man den Tag auf dem Gelände verbringen, ohne auch nur eine Band zu sehen. Im kleinen Horst Blau-Kino gab es etwa Filme wie die vieldiskutierte Dokumentation Hamburger Gitter zu sehen, das befreunde Kollektiv Ruplundby sendete vom festivaleigenen Radiosender, im Zelt des Bremer Anderswo-Kollektivs konnte Charleston gelernt werden und im zentralen Geländebereich präsentierte das Festival selbst einen Rückblick auf die eigene Vergangenheit, und lud mit zahlreichen Impressionen zum gemeinsamen Schwelgen und Stöbern in früheren Lineups ein.

Das gesellschaftspolitische Herz vom Skandaløs Festival ist das etwas vom Restgelände abgetrennte Kluntjes, ein diskursiver und informativer Raum, der während der letzten Ausgabe im Jahr 2017 sein Debüt feierte. Auf drei kleinen Bühnen gab es Workshops und Diskussionen zu Fragen der nachhaltiger Ernährung, dem Umgang mit der Identitären Bewegung oder auch über Chancen und Probleme von Kulturschaffenden auf dem Land – ein Problem, welches das Festival angesichts der infrastrukturellen, administrativen und leider auch nachbarschaftlichen Hürden seit jeher bewegt.

Wer aus der Region selbst kommt, der konnte sich zudem nostalgisch über lokale Traditionen wie Kinderfeste oder Fahrradringstechen erfreuen, und entdeckte auch regional verbreitete Mischgetränke auf der Getränkekarte. Das Festival und die Crew zeigt sich als Vermittler/in zweier Welten, und so wundert es auch nicht, dass gegen Abend Jung und Alt aus den angrenzenden Dörfern mit dem Fahrrad oder Taxi zum Gelände fuhren, um gemeinsam mit den Festivalbesuchern zu feiern.

Wohin geht die Reise?

Wenn es dadurch gelingen sollte, auch nur wenige Jugendliche vom Land mit diesem vielfältigen, offenen und toleranten kulturellen Angebot abzuholen, dann erfüllt dieses Festival über den Selbstzweck hinaus auch eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Und so bleibt es zu hoffen, dass der mittlerweile fast ein Jahrzehnt andauernde Weg des Skandaløs im Jahr 2019 nicht am Ziel angekommen ist.

Denn leider wurde schon im Laufe des Festivals kommuniziert, dass es die letzte Ausgabe im  gewohnten Umfeld sein wird. Belastungen für Anwohnerinnen und Anwohner, die Auflagen für den Landschafts- und Naturschutz sowie infrastrukturellen Herausforderungen erfordern nämlich eine Neuplanung. So bleibt es zu hoffen, dass es dem Team gelingen wird, neue Wege zu ebnen, damit das nach den Worten der Schweizer Künstlerin Janine Cathrein, besser bekannt als Black Sea Dahu, wirklich geile Festival auch spätestens 2021 wieder stattfinden kann!

Text: Stefan Magnussen

Den kompletten Bericht gibt es im Magazin von Festival-Community nachzulesen.

3 Kommentare

  1. Matthias Fichtner

    Wunderbar geschrieben und tolle Fotos!!!

  2. Clara

    Ich war da! Super Orgateam. Klasse Acta! Geiles Essen! Wunderatmosphäre! Traumhafte Installationen. Danke für die ganze Mühe und Liebe…. auf dem Caravanplatz zu sein war dennoch die Härte wegen der betrunkenen Ackermacker nebenan, die nichts anderes konnten als Schlager hören und sich per Megaphon zu unterhalten. Wir hatten einfach Pech oder ? LG Clara

  3. nilo

    Ich glaube, dass das wirklich Pech war. Bei unseren täglichen Streifzügen über den Platz war tagsüber immer gut was los, das hielt sich aber zivilisatorisch immer im Rahmen – und nachts sowieso. Beste Grüße, Nilo

Was denkst du?